Anlässlich der Kunstausstellung KRAFTAKT, die vom 14.05. – 06.06.2019 im Rathaus Stuttgart zu sehen ist, hat sich der Künstler unseren Fragen gestellt.
Thomas Putze (*1968 in Augsburg), absolvierte nach einer Lehre als Landschaftsgärtner und Aufenthalt als Aufbauhelfer in Guatemala zunächst ein Theologiestudium in Wuppertal, bevor er an der FKS Stuttgart Malerei studierte. Es folgte ein Studium der Bildhauerei an der Staatlichen Kunstakademie Stuttgart bei Werner Pokorny und Micha Ullman, anschließend ein Landesgraduiertenstipendium und ein Lehrauftrag für Bildhauerei an der Freien Kunstakademie Nürtingen. Putze ist Preisträger des Saarpfälzischen Kunstpreises, von Kunst am Bau (Karlsruhe), der Ellwanger Kunstausstellung sowie des Kunstpreises der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Seine Werke sind vertreten in zahlreichen öffentlichen Sammlungen, z. B. Staatsgalerie Stuttgart, Sammlung LBBW, Regierungspräsidium Stuttgart, Zentrum für Gegenwartskunst Novosibirsk, Museum Biedermann Donaueschingen und Morat-Institut Freiburg. In Ausstellungen im gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus wurden seine Werke u. a. von der Galerie Schlichtenmaier Stuttgart, dem Kunstverein Ludwigsburg, dem Forum Kunst Rottweil, der art Karlsruhe, der art Bodensee, der Städtischen Galerie Aalen, dem Kunstmuseum Gelsenkirchen, der Galerie Stern-Wywiol Hamburg, beim Symposium Zeitzeuge Holz Eppstein oder dem Skulpturenweg Battenberg gezeigt.
„Am liebsten würde ich die Einzelnen immer wieder malen, bis ich das Gefühl habe, der Person gerecht geworden zu sein“
Herr Putze, wie sind Sie Künstler geworden und warum machen Sie Kunst?
Nach meiner Erinnerung und den Erzählungen meiner Mutter war ich schon immer ein Künstler bzw. konnte mich problemlos stundenlang allein mit mir beschäftigen. Dass ich etwas anders wie andere war, habe ich zum ersten Mal so richtig kapiert als ich mit 12 bei einer Norwegen Reise am Busfenster klebte und die ganze Zeit in Erstaunen ausbrach, wie wunderbar die Wolken über die schwarzen Granitfelsen hinwegzogen, bis meine Mitreisenden mir sagten, ich solle sie in Ruhe ihre Micky Maus Hefte lesen lassen.
Nach einigen beruflichen Stationen wie Landschaftsgärtner, Theologiestudium und der Leitung eines Jugendhauses habe ich irgendwann mal kapiert, dass ich meine innere Unruhe und den Drang auszubrechen und die damit einhergehende Unzufriedenheit nicht immer meinen Chefs in die Schuhe schieben, sondern meine Existenz in die eigenen Hände nehmen sollte. Dann habe ich einfach angefangen, nur noch zu malen und Musik zu machen. Seitdem geht‘s mir viel besser und viel schlechter, aber das fühlt sich insgesamt sehr erfrischend an. Später mit Anfang 30 habe ich dann auch noch richtig Kunst studiert, aber Kunst mache ich hauptsächlich, um überhaupt mit diesem Leben zu Rande zu kommen. Es ist sozusagen meine Sprache und mein Ausheul-Kissen. Der professionelle Teil dient dazu, meine Familie zu ernähren.
Was hat Sie am Projekt KRAFTAKT gereizt?
An dem Projekt Kraftakt finde ich für mich sehr spannend, dass ich unterschiedliche, wenn nicht sogar sich ausschließende Kunstdisziplinen miteinander in Verbindung bringen kann. Körperbetonte Performance, Zeichnen und der bildhauerische Umgang mit verschiedenen Materialien in einem. Ich interessiere mich zeichnerisch für das Antlitz eines Menschen und weiß im selben Moment, dass ich durch meine grobmotorische Tätigkeit das ideale Abbild gefährde. Zugleich war KRAFTAKT schon in der Entwicklung des Konzepts ein sehr kommunikativer Prozess und wurde es besonders in der Ausübung, wo die Begegnung mit einem Menschen der Impulsgeber ist. Obwohl das alles so aufgeladen und spannend ist, hab ich mich auch schon mal während des Arbeitsprozesses vor Lachen geschüttelt, wenn ich beispielsweise an einer Reckstange hängend mit den Füßen zeichnend das Gesicht einer Frau erfassen will und die Bauchmuskeln es nicht mehr erlauben, wenigstens die Frisur hinzukriegen.
Während des Arbeitens haben Sie mit den modellsitzenden Selbsthilfegruppenmitgliedern Gespräche geführt. Gab es dabei eindrückliche Momente?
Manche reden ganz frei und selbstverständlich über ihr Schicksal und über schwierige Lebenssituationen, das wirkt auf mich befreiend. Manche reden nicht darüber, aber ich konnte spüren, dass ihnen ihre positive Ausstrahlung bzw. ihr Lebensmut nicht im Sommerschlussverkauf hinterhergeschmissen worden sind. Am meisten habe ich das in den wortlosen Momenten, wo sich Künstler und Modell gegenüberstehen und anschauen, mitbekommen. Da ich in der Bewältigung von Lebenskrisen eher unter der Rubrik Waschlappen rangiere, hat mich das auch im Nachklang ziemlich beeindruckt und ich möchte ein Stück von dieser Ehrlichkeit zu sich selbst oder der Furchtlosigkeit für mein Leben abbekommen.
Wie finden Sie die Ergebnisse dieser Kraftakte – also die entstandenen Kunstwerke?
Die Arbeiten für sich betrachtet sind frisch und unverschnörkelt, weil sie spontan und ohne Retuschen den Augenblick ihrer Entstehung wiedergeben. Manche treffen die Personen ziemlich gut, wie ich finde. Zwischendurch geht auch mal was schief, weil ich was erzwingen wollte oder unkonzentriert war. Das drückt sich meistens darin aus, dass ich den Augenblick verschlafe, wo die Skizze noch gelebt hat. Bei manchen Portraits bin ich erschrocken, wie sehr der Arbeitsprozess, eben dieser Kraftakt, die Menschen auf dem Bild verschoben oder verschroben hat. Drei Arbeiten finde ich so stark, dass ich ein bisschen Zweifel habe, ob sie überhaupt von mir sind. Da ist die Figur auf dem Bild so stark, dass es einer Anmaßung gleich kommt, sie zu signieren. Das sind die Glücksmomente in der Kunst, wenn man das Gefühl hat, an etwas beteiligt gewesen zu sein, das mehr ist als das Ergebnis der eigenen künstlerischen Fähigkeiten. Insgesamt schmerzt die Unwiederbringbarkeit der kurzen Momente, und am liebsten würde ich die Einzelnen immer wieder malen, bis ich das Gefühl habe, der Person gerecht geworden zu sein.
Hatten Sie vorher schon einmal Berührungspunkte mit dem Thema Selbsthilfe bzw. hat das Projekt Ihre Sicht auf Selbsthilfegruppen verändert?
Mir begegnete das Wort Selbsthilfegruppe bisher hauptsachlich in einem abfälligen Gebrauch, wo Menschen gemeint sind, die sich in ängstlicher und übertriebener Weise seelische Selbstpflege gönnen. Damit wird unbewusst der gesellschaftlich anerkannte Zähnezusammenbeiß-Typ favorisiert. Ich habe in dem Projekt Kraftakt Menschen kennengelernt, die sich zu schade sind, sich das Gebiss zu ruinieren.
Herr Putze, vielen Dank für das Gespräch!
Infos und Kontakt
Thomas Putze
Bildhauer, Zeichner und Performance Künstler
www.thomasputze.com